Frust im B2B-Marketing: Bloß nicht den Kopf in den Sand stecken

Frust im B2B-Marketing

Von Enttäuschungen, Unzufriedenheit und Rückschlägen im B2B-Marketing

Von Enttäuschungen, Unzufriedenheit und Rückschlägen im B2B-Marketing

Fußballspieler sind nicht unbedingt für ihre philosophischen Qualitäten bekannt. Noch dazu, wenn es um Themen abseits des runden Leders geht. Aber wenn es um die Gründe für den Frust im B2B-Marketing geht, dann trifft der Satz von Jürgen Wegmann den Nagel gezielt auf den Kopf:

Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.

Jürgen Wegmann

Mein Gefühl ist, dass vor allem im Marketing von Industriegütern die Unzufriedenheit der verantwortlichen Personen hoch ist. Im B2C erlebe ich das nicht so, da sind deutlich positivere Vibes zu spüren, bis hin zu einer Goldgräberstimmung. Nun weiß ich aus über 20 Jahren Marketing für unterschiedliche Branchen, dass jeder Markt und jedes Unternehmen anders tickt und Vergleiche nur bedingt möglich sind. Und aktuelle Umfrageergebnisse und Statistiken zur Unzufriedenheit im B2B-Marketing sind mir ebenso wenig bekannt, wie historische Daten hierzu. Was bleibt: Eigene Feldforschung zum Thema „Frust im B2B-Marketing“.

Woher kommt der Frust im B2B-Marketing?

Was Marketingentscheider schon immer frustriert hat, sind die langen Verkaufszyklen und die schwierige Erfolgsmessung. In einigen Fällen mag dann noch die mangelnde Abstimmung zwischen Marketing und Vertrieb für zusätzliche Reibung und Unzufriedenheit sorgen. Und in seltenen Fällen sind rechtliche bzw. regulatorische Vorgaben in Verbindung mit schnellen Veränderungen ein Grund für Unzufriedenheit im B2B-Marketing. Doch sind das wirklich die wesentlichen Aspekte, die Marketingverantwortliche im industriellen Umfeld frustrieren?

Verkaufszyklen: Nicht ganz unendlich, aber lang laufend und oft unvorhersehbar
Lang laufende Verkaufszyklen können frustrierend für B2B-Marketer sein

Digitalisierung sorgt für Frust

Bis Anfang der 2000er war Online-Marketing praktisch keine ernstzunehmende Aufgabe in den meisten deutschen Industrieunternehmen. Klar, da gab es die Website, die mit Jobs, News und Events mehr oder weniger aktuell gehalten wurde. Ab und zu wurden Produkte und/oder Dienstleistungen hinzugefügt, aktualisiert oder entfernt, aber das war es dann auch meist schon mit online. Zugegeben, ein paar Vorreiter nutzten auch da schon Google AdWords oder einzelne soziale Netzwerke, aber erst in den 2010er Jahren nahm die Online-Thematik im B2B-Marketing Fahrt auf. Zur Website gesellten sich CRM-Systeme, Social Media Plattformen, YouTube & Co. sowie ein starker Fokus auf SEA und SEO. Letzteres vor allem in Verbindung mit Content Marketing, das heute gewissermaßen den Knotenpunkt zwischen allen Marketingspielarten darstellt.

Die Marketinglandschaft hat sich in den vergangenen 20 Jahren sehr nachhaltig verändert. Während die Ausgaben für Werbung steigen, sinkt die Anzahl der Beschäftigten in der Werbung bzw. befindet sich auf einem Plateau. Und genau hier finden wir den ersten großen Treiber für Frust im B2B-Marketing: Immer mehr Aufgaben werden von einer gleichbleibenden oder minimal steigenden Anzahl an Mitarbeitenden erledigt. Und wir reden hier nicht über Kleinigkeiten, die hinzugekommen sind.

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Arbeitsvolumen ein wesentlicher Frustfaktor

Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück, um das Bild als Ganzes zu betrachten. Bis etwa 2005 waren die Aufgaben im Marketing in der Regel folgende:

  • Produktmanagement
  • Werbung und Verkaufsförderung
  • Ausstellungen, Messen und Events
  • Öffentlichkeitsarbeit (PR)
  • Marktforschung
  • Branding und Markenmanagement
  • Vertriebsunterstützung
  • Website

Seitdem hat sich das Aufgabenspektrum durch die Digitalisierung erheblich erweitert und weiterentwickelt. Entsprechend sind seither folgende Aufgaben hinzugekommen:

Und ganz neu im Portfolio:

Im Klartext bedeutet das, dass zu den sieben Aufgabenbereichen des klassischen Marketings inzwischen weitere zehn Aufgabenbereiche hinzugekommen sind. Ich habe bewusst „Website“ nicht mitgezählt, denn es geht in den neu hinzugekommenen Aufgaben auf. Und selbst diese zehn Zusatzaufgaben im Marketing sind geschönt, denn unter dem Aufgabenbereich Digital Marketing sind wiederum Einzeldisziplinen subsummiert, die es in sich haben. Denn SEO, SEA oder Social Media Marketing sind für sich genommen bereits komplexe Arbeitsbereiche, die entsprechende Aufmerksamkeit erfordern.

The Marketing Map: Auch ein Ansatzpunkt für eine B2B Marketing Definition

Komplexität und Erwartungshaltung sorgt für Frust im B2B-Marketing

Was Außenstehende nicht wahrnehmen ist die Tatsache, dass die Anzahl und Zusammensetzung der Stakeholder sich verändert hat. Ich erinnere mich noch daran, dass Geschäftsleitung, Vertrieb und Technik/Entwicklung lange Zeit die wesentliche Richtung des Marketings vorgaben. Inzwischen sind beispielsweise Kundendienst / Support, Nachhaltigkeitsbeauftragte /-abteilungen, Financing/Controlling und vor allem HR wichtige Ansprechpartner für Marketingabteilungen geworden. Entsprechend verlängert sich die Liste der Aufgaben nicht nur in der Breite, wie oben gezeigt. In der Informatik bezeichnet man solche Strukturen als Viele-zu-viele-Beziehungen (m:n), die einen Prozess nahezu beliebig komplex und schwer durchschaubar machen können.

Bitte behalten Sie im Kopf, dass die Anzahl der Marketingmitarbeiter nicht signifikant gestiegen ist, was auch Zahlen der bvik-Studie „B2B-Marketing-Budgets“ aus den Jahren 2016 bis 2022 belegt. Im Gegenteil: Während die durchschnittliche Größe einer Marketingabteilung bis 2016/17 noch bei etwa 10 bis 12 Personen lag, schrumpfte sie in den Folgejahren deutlich. Inzwischen sind wir wieder bei einem durchschnittlichen Niveau von rund 10 Mitarbeitenden, wobei natürlich große Unternehmen deutlich mehr Mitarbeitende im B2B-Marketing verzeichnen und Haupttreiber dieses neuerlichen Anstiegs sind. In Unternehmen bis 500 Mitarbeitern sieht das anders aus, hier ist Stagnation bei 3 bis 4 Mitarbeitenden die Realität.

Komplexität kann Frust erzeugen

Was ebenfalls zur Realität gehört, sind gestiegene Erwartungen. Das liegt vor allem an der zunehmenden Messbarkeit von Maßnahmen, beispielsweise die gerne herangezogene Anzahl neuer Marketing Qualified Leads (MQL). Oder die Anzahl an Likes in Social Media. Und natürlich die Anzahl der Besucher auf der Website. Lassen wir, aus Gründen der Vereinfachung, die Diskussion um Vanity Metrics beiseite und widmen uns dem Kern der Aussage, nämlich der berechtigten Erwartungshaltung, dass Marketing einen erheblichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten muss. Jeder einzelne Interessenvertreter – ob als Person oder Gruppe, ob intern oder extern – hat Ansprüche an das Marketing. Frust ist unter den zuvor geschilderten Bedingungen auf beiden Seiten vorprogrammiert.

Marketingbudgets sorgen für Unmut

Seit Corona steigen die Marketingbudgets wieder zaghaft an, wobei abzuwarten bleibt, welchen Einfluss die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen der letzten beiden Jahre sowie aktuelle Geschehnisse auf diesen Trend haben. Mir schwant hier nichts Gutes. Nehmen wir einfach mal an, wir bewegen uns auf einem Plateau – also weder steigende, noch sinkende Budgets, was in vielen Fällen seit einigen Jahren die Realität ist. Angesichts gestiegener Marktpreise in allen Bereichen ist dies aber eine verdeckte Reduzierung des Budgets.

Marketingverantwortliche müssen seit Jahren einen Kreuzspagat in mehrere Richtungen hinlegen, um mit knappen Budgets zumindest die wichtigsten Eckpfeiler der Marketingstrategie zu bedienen. Im B2B-Marketing machen Messen mit rund 30 Prozent nach wie vor den größten Budgetblock aus und sind damit beinahe beim Vor-Corona-Niveau angelangt. Faktisch bleiben also noch 70 Prozent eines stagnierenden Budgets, um zehn neue Aufgabenfelder plus sechs klassische Aufgabenfelder zu bespielen. Ich verstehe jeden Marketingverantwortlichen, den das frustriert!

Stellenwert und Wertschätzung

Resilienz ist eine oft geforderte Eigenschaft von modernen Mitarbeitenden. In einer VUCA-Welt, die sich im Übergang zu einer BANI-Welt befindet, kann Widerstandsfähigkeit im Marketing jedenfalls nicht schaden. Insbesondere dann, wenn man in Unternehmen tätig ist, die nach dem Motto „Nicht geschimpft ist genug gelobt“ arbeiten. Hinzu kommen bekannte Vorurteile, die mancherorten fast schon zementiert scheinen, wie beispielsweise:

  • Marketing kostet viel und bringt wenig
  • Marketing kann doch jeder
  • Marketing versteht das Geschäft nicht
  • Marketing sind bloß bunte Bildchen

Dort, wo solche Sprüche fallen, lächelt jede:r Marketingverantwortliche diese Sätze in der Mehrheit aller Fälle weg. Oftmals ist es auch ein gesundes Stück Ironie, nur eben nicht immer. Dann ist es einfach nur Stück Ballast, das mitgeschleppt wird und das Fortkommen erschwert. Faktisch gesehen ist es eine diskriminierende Haltung, die aus einer „Wir gegen die“-Haltung von Abteilungen stammt – Silodenken vom Feinsten.

Frust im B2B-Marketing kann durch Wertschätzung neutralisiert werden

Jene Unternehmen, die ihren Marketingverantwortlichen und -abteilungen ernst gemeinte Wertschätzung entgegenbringen und den Stellenwert des Marketing in der Wertschöpfung anerkennen, neutralisieren damit die toxische Wirkung der oben genannten Frustfaktoren. Zumindest lassen meine privaten Befragungen diesen Rückschluss zu. Mal ist es die Geschäftsführung, die dem Marketing einen hohen Stellenwert zumisst und dadurch direkt für eine gesteigerte Wertschätzung sorgt. Oder es ist der Vertrieb, der diese Signale sendet und damit für Anerkennung der Marketingleistungen sorgt. Manchmal ist es auch die gesamte Unternehmenskultur, die ein positives Miteinander bewirkt und damit dafür sorgt, den Frust im B2B-Marketing zu überschreiben.

Mangelnde Wertschätzung gleich doppelter Frust

In Unternehmen, in denen es allerdings an Wertschätzung und positivem Feedback für das Marketing mangelt, verstärkt sich die Unzufriedenheit. In meinen Gesprächen mit Marketingverantwortlichen fallen dann besonders viele Negativismen. Sehr häufig höre ich hier die Worte „enttäuscht“ und „Enttäuschung“ – vor allem im Zusammenhang mit der Führungsetage. Zu den oben genannten Frustfaktoren gesellt sich dann noch ein Gefühl des Nicht-Gemocht- und Nicht-Gebraucht-Werdens. Die innere Kündigung ist die zwangsläufige Konsequenz daraus. Oftmals auch irgendwann gefolgt von der echten Kündigung, sobald Alternativen verfügbar sind.

In meiner eigenen Karriere habe ich unterschiedlichste Formen von Frust erlebt und ausgehalten. Aber immer war es irgendwann der Mangel an Wertschätzung, der das Fass zum Überlaufen brachte. Menschen kündigen ihre Vorgesetzten, nicht ihre Jobs. Das ist zwar kein Fußballer-Zitat, aber auch dafür müssten fünf Euro ins Phrasenschwein.

Frust, Fachkräftemangel und Flucht

Im B2B-Marketing ist durch den Wandel in den letzten 20 Jahren ein krasser Fachkräftemangel entstanden: Wer aktuell Content Creator gleich welcher Art (Text, Video, Image) sucht, ist ebenso aufgeschmissen, wie Unternehmen, die Data Driven Marketer oder SEA- und Online-Advertising-Professionals suchen. Ganz zu schweigen von einem eklatanten Mangel an B2B-Marketern, die einen gleichermaßen strategischen, wie operativen Blick auf das Marketing haben und darüber hinaus von Messen und Events bis zu TikTok und WhatsApp denken und handeln können sowie Führungsqualitäten mitbringen.

Mal verliert man und mal gewinnen die anderen.

Otto Rehhagel

Und genau hier kommt der Frustfaktor ins Spiel: Unternehmen, die heute Fach- und Führungskräfte mit diesen Fähigkeiten und Kenntnissen in ihren Reihen haben, sollten diesen Personen einerseits den notwendigen Support (Budgets, Personal, Input) und andererseits die entsprechende Wertschätzung zukommen lassen. Wenigstens zumindest letzteres, um die toxische Wirkung von Frust zu neutralisieren. Doppelter Frust führt unweigerlich zur Kündigung, erst innerlich, dann richtig. Und damit wandert Know-how ab, wie es vielerorts passiert.

Besonders gravierend aus meiner Sicht: Das Know-how wandert oftmals nicht in andere Unternehmen, sondern flüchtet in die Selbständigkeit oder in andere Bereiche. Die IT- und Softwarebranche hat viele B2B-Marketingexperten in den vergangenen Jahren geschluckt und tut es immer noch. Gerade in der Industrie tun sich viele Unternehmen schwer, entsprechende Fach- und Führungskräfte zu rekrutieren. Als Interim Marketing Manager profitiere ich ein Stück weit von dieser Entwicklung, aber sie macht mir auch Sorgen. Denn eigentlich ist es mein Job, lediglich eine temporäre Lücke zu füllen. Wenn aber keine Nachfolgebesetzung ins Sicht ist, wird es zu einem Vabanquespiel, bei dem Unternehmen ein extrem hohes Risiko gehen, das schon in Ansätzen hätte vermieden werden können.


Takeaway (TL;DR)

  • Frust im B2B-Marketing durch Digitalisierung, Arbeitsvolumen und Budgetmangel
  • Wertschätzung kann sich positiv oder negativ auf empfundenen Frust auswirken
  • Fachkräfte im industriellen Marketing fliehen in die Selbständigkeit oder in andere Branchen
  • Nachfolge ist oftmals problematisch aufgrund des Fachkräftemangels

Bildquellen

Ansgar Hein
Während meiner zwanzigjährigen Laufbahn hatte ich das Privileg, zwei Unternehmen erfolgreich zu gründen, zu leiten und zu veräußern. Ich habe Events etabliert, Geschäftsmodelle (weiter)entwickelt und andere Kulturen und Lebensweisen kennengelernt. Im Laufe meiner Marketing-Karriere wurde meine Arbeit mehrfach ausgezeichnet. Seit mehreren Jahren halte ich Vorlesungen und Vorträge über Marketing, Web-Technologien und das Internet of Things. Mit Think B2B bin ich Ihre externe Marketingabteilung, Ihr Interim Marketing Manager oder Ihr B2B Marketingberater in Köln/Bonn.