Fachkräftemangel ist eines dieser Worte, die ich zu häufig lese oder höre. Im Marketing, im Einkauf, in den Entwicklungsabteilungen – überall herrscht Fachkräftemangel. Ich kann nicht für andere Abteilungen sprechen, aber im Marketing gibt es eine recht einfache Lösung: Interim Marketing Manager. In den USA ist dieser Trend schon seit vielen Jahren klar erkennbar und nimmt weiter an Fahrt auf. Hier in Deutschland genießen Interim Manager und Freelancer oftmals immer noch einen eher zweifelhaften Ruf. Dabei gehört Interim die Zukunft – nicht nur im Marketing.
Bevor ich tiefer in meine Argumentation einsteige, sollte ich klarstellen, dass ich schon seit jeher mit Freelancer:innen zusammenarbeite. Oftmals besser als mit Agenturen, aber das ist ein anderes Thema und deutlich subjektiver als das, worum es mir in diesem Beitrag geht. Haben Sie in letzter Zeit einmal versucht, eine:n Content Manager:in einzustellen? Oder eine:n SEO-Manager:in? Wenn ja, dann wissen Sie, wovon ich spreche, denn bestenfalls trudeln einzelne Bewerbungen ein, egal wie hoch sie die Frequenz und Intensität bei der Bewerbung Ihrer offenen Stellen setzen. Entweder sind die Bewerber:innen nicht qualifiziert genug für die ausgeschriebene Stelle, oder Sie können die Gehaltsforderungen nicht erfüllen. Vielleicht haben Sie aber auch Glück und es passt alles zusammen – Ausnahmen bestätigen die Regel.
Interim im Marketing und das KfW-ifo Fachkräftebarometer
Laut KfW-ifo Fachkräftebarometer klagt gut ein Viertel aller Unternehmen über Beeinträchtigungen in der Geschäftstätigkeit wegen fehlenden Fachpersonals. Falls Ihnen dazu jetzt die Zahlen fehlen: Allein in Deutschland waren im Jahr 2019 rund 3,3 Millionen Unternehmen registriert. Betroffen sind demzufolge also rund 825.000 Unternehmen. Ich finde diese Zahlen auch deshalb interessant, weil sie verdeutlichen, wie groß der Wettbewerb ist und wie wichtig und dringlich die Suche nach geeigneten Fachkräften ist.
Deshalb müssen sich Geschäftsführer:innen, CEOs und Personalverantwortliche neue Strategien zurechtlegen, um zukünftig konkurrenzfähig zu bleiben und bei erfolgskritischen Marketingprojekten einen Stau zu verhindern, der vielerorten aber bereits zur gelebten und gelittenen Realität vieler Unternehmen gehört. Aktuell höre ich in Gesprächen oft die Floskeln „Auf Sicht fahren“ oder „Umshiften“ oder „Neu priorisieren“. Ab und zu wird in diesen Kontext dann auch agiles Marketing hineingezogen, was dann die schlussendliche Bankrotterklärung der Argumentationskette darstellt.
Keine einfache Lösung für komplexe Sachverhalte
Möglicherweise funktioniert für kurze Zeit eine dieser taktischen Maßnahmen. Mitunter können Unternehmen auch hintereinander alle in der Liste aufgeführten Dinge tun, aber immer handelt es sich nur um kurzfristige Effekte, die nur eines zur Folge haben: Sie verstärken die Ausgangsproblematik. Denn eine Umverteilung sorgt nicht dafür, dass mehr erledigt wird, sondern weniger. Und die Motivation im Team sinkt und sinkt und sinkt. Und mit ihr die Produktivität und das Energielevel. In der Folge verlassen Mitarbeiter:innen das Unternehmen oder reichen die innere Kündigung ein. All das führt zu einer gefährlichen Abwärtsspirale, in der sich viele Marketingabteilungen in der DACH-Region bereits befinden.
Es ist die Aufgabe der Geschäftsführung und der HR-Abteilung, aber natürlich auch der hauptverantwortlichen Führungskraft im Marketing, dafür zu sorgen, dass die Umweltbedingungen im Marketing stimmen. Im Leistungssport spricht man schon lange von einer ausgewogenen Belastungssteuerung, die ich in Unternehmen allzu oft vermisse. Wie also können Belastungsspitzen in Marketing und Kommunikation besser abgefedert werden? Auf welche Weise lassen sich Personallücken kurzfristig und mit hoher Qualität schließen? Wie gelingen zeitkritische Projekte auch dann, wenn die Personaldecke knapp ist, oder die entsprechenden Qualifikationen im Team nicht oder nicht ausreichend vorhanden sind?
Dreiklang für erfolgreiches Marketing
Ebene 1: Aus- und Fortbildung
Ich empfehle in solchen Fällen ein Multi-Layer-Vorgehen. Die erste Ebene besteht darin, eigene Mitarbeiter aus- und fortzubilden. Das setzt natürlich eine lernende Organisation voraus (und hier käme jetzt wirklich agiles Marketing ins Spiel) und natürlich Know-how, um die entsprechenden Fertigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln. Ich habe für verschiedene Berufe die IHK-Ausbildereignung und selbst bereits mehrere Auszubildende bereits erfolgreich auf dem Weg ins Berufsleben begleitet. Selbst auszubilden sorgt nicht nur dafür, dass die Prozesse in der Regel exakt so ablaufen, wie Sie sich das wünschen. Es hilft auch dabei, Expert:innen zu formen und Lücken zu schließen sowie Langfristigkeit sicherzustellen. Letzteres hängt natürlich vom Unternehmen und von der Führungskraft und deren Strahlkraft ab, aber das steht auf einem anderen Zettel.
Ebene 2: Outsourcing
Kommen wir zur zweiten Ebene: Outsourcing von Aufgabenpaketen. Hier kommen externe Dienstleister ins Spiel, also vor allem Agenturen. Ich für meinen Teil gebe feste Aufgaben gerne an versierte Freelancer:innen. In der Regel sind diese flexibler und passen sich den eigenen Workflows etwas besser an. Günstiger sind sie in der Regel auch, weil sie keinen Overhead finanzieren müssen. Natürlich bedeutet das im Umkehrschluss, dass ich mehr Aufwand in das Erklären eben jener Prozesse stecken muss. Dadurch lassen sich mit dem bestehenden Team in der Regel häufiger Synergien erzielen. Im Idealfall fügt sich ein:e Freelancer:in nahtlos in das Team ein – sowohl kommunikativ, als auch im Hinblick auf Expertise und Selbständigkeit. Ein weiteres Plus: Freelancer:innen sind oftmals dazu bereit, vor Ort zu arbeiten. Allerdings sind gute Freelancer:innen auch langfristig ausgebucht und nicht leicht zu finden.
Ebene 3: Interim Manager im Marketing
Bleibt noch die dritte Ebene, bei der es um Interim Manager geht. Wo ist der Unterschied zu Freelancern, werden Sie sich oder mich jetzt fragen. Wikipedia bringt es auf den Punkt: „Interim-Manager übernehmen Ergebnisverantwortung für ihre Arbeit in einer Linienposition oder in Projekten. Sie verlassen das Unternehmen […], sobald das Problem gelöst […] ist, oder nach Abschluss des Projektes, in dem sie tätig waren.“ Die essenziellen Punkte in dieser Definition sind für mich die Ergebnisverantwortung und die Problemfokussierung. Nimmt man hierzu den zeitlichen Aspekt des „Management auf Zeit“, wie Interim Management auch genannt wird, dann erhält man eine solide Vorstellung davon, wie sich ein Marketing-Freelancer von einem Interim Marketing Manager unterscheidet.
Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, dass Sie Freelancer:innen eine Ergebnisverantwortung übertragen. Für mich rutschen diese dann aber in die dritte Ebene und sind interimistisch tätig. Für mich bedarf es bei Freelancer:innen noch einer übergeordneten Projektleitung, die wiederum die Ergebnisverantwortung trägt. Aber wie gesagt, es gibt Mischformen und meine Definition ist auch kein wissenschaftliches Modell, dafür aber praxisorientiert.
„Der Mehrwert für den Kunden überstieg die Personalkosten für den Interimer deutlich.“
Führungsstudie 2017, Helmut-Schmidt-Universität
Wenn Sie Interim Marketing Manager in Ihr Team integrieren möchten, sollten Sie diese wie vollwertige Mitarbeiter:innen des Unternehmens behandeln und mit entsprechenden Befugnissen und Pflichten ausstatten. Worüber Sie sich im Klaren sein müssen: Interim Manager sind teuer, aber andererseits jeden Cent wert, wie die Führungsstudie der Bundeswehr Universität belegt. Mit Sätzen zwischen 750 und 1250 EUR müssen Sie hier in der Regel rechnen, dafür bekommen Sie aber auch eine:n Mitarbeiter:in mit über 10 Jahren Praxiserfahrung.
Budget vs. Freelancer:innen / Interimer:innen
Mein Opa hat mir schon immer beigebracht, dass man einen Euro nur einmal ausgeben kann. Mir ist klar, dass die meisten Marketingbudgets weder das Outsourcen von Aufgaben, noch das Anheuern von Interim Marketing Managern zulassen. Ich habe mich in der Vergangenheit auch oft mit dieser Thematik herumgeplagt und mir auf der anderen Seite den Frust meines Teams ansehen und anhören müssen. Ich gehöre nicht zu den Führungskräften, die so etwas wegignorieren und den Druck erhöhen, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Druck formt Diamanten, hat mal einer meiner Ex-Chefs gesagt. Druck zerquetscht aber in 99,9% aller anderen Fälle einfach nur Dinge.
Für mich war klar, dass ich eine Lösung benötige, wenn ich nicht bis zur Rente immer wieder diese Divergenz moderieren und aushalten muss. Ich habe dann eine schonungslos ehrliche Liste der Projekte, die aktuell im Marketing eingekippt sind, aufgestellt. Aller Projekte. Auch jener, die man selbst gerne immer hintenanstellt, weil ja eh keine Zeit ist. Und ich habe sie mit Personentagen bepreist und zwar mit konkreten Mitarbeiter:innen aus meinem Team. Das habe ich dann als Gantt-Chart visualisiert und dann eine Bilanz der Sollstunden laut Projektliste pro Mitarbeiter:in sowie eine Netto-Ist-Verfügbarkeit laut Arbeitsvertrag dagegen gestellt. Das Delta aus dieser Berechnung zeigte mir dann den Personalbedarf.
Interne Stakeholder:innen überzeugen und gewinnen
Eine solche Projektübersicht sollte jede:r Marketingverantwortliche immer griffbereit haben. Nachdem ich diese aufgestellt hatte, habe ich selbst gestaunt. Im nächsten Schritt habe ich die Projekte priorisiert und einer ABC-Analyse unterzogen. Alleine die A-Projekte mit höchster Wichtig- und Dringlichkeit hätten mein Team und mich über ein Jahr lang beschäftigt, ohne dass wir Tagesgeschäft oder etwas anderes getan hätten. Klar, da waren Leitmesse, Website- und Intranet-Relaunch mit dabei – das erledigt man halt nicht en passant. Mit den B- und C-Projekten sah es aber ähnlich aus – auch da waren die Personentage für beinahe ein weiteres Jahr aufgebraucht. Und jeden Tag trudelten neue Projekte und Aufgaben ein.
Mit der nach Prioritäten gestaffelten Liste bin ich dann zu meinem Vorgesetzten und zeigte ihm die Aspekte auf. Weil priorisieren schon erledigt war, kam dann die Anmerkung, Aufgaben umzushiften und dadurch Ressourcen freizusetzen. Aber ich war nicht bereit, klein beizugeben und suchte unseren CEO auf. Ihm erläuterte ich die Folgen, wenn wir weiterhin „auf Sicht fahren“ und nur „umshiften“, anstatt das Problem an der Wurzel zu packen: Den Ressourcenmangel zu beseitigen. Weil Festanstellungen aufgrund der Langfristwirkung nicht infrage kamen, brachte ich mein Multilayer-Modell zur Sprache, vor allem die zweite und dritte Ebene. Ein wesentlicher Vorteil von Freelancer:innen und Interim-Besetzungen im Marketing ist der, dass sie ebenso schnell von der Payroll verschwinden können, wie sie dort aufgeschlagen sind.
Own the frame, win the game
Letzten Endes möchte das Unternehmen am Markt erfolgreich sein und niemand möchte es mehr als der CEO Ihrer Firma. Allerdings gibt es Restriktionen und Limitationen, wie im Fall von finanziellen und personellen Ressourcen. Entsprechend braucht es wirklich gute Argumente, um eine:n Geschäftsführer:in davon zu überzeugen, in die Marketingabteilung zu investieren. Mithilfe der Argumentationshilfen in Form des Projekt-Ressourcen-Plans und der Multi-Layer-Methode sind Sie dahingehend gut vorbereitet. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit, denn letzten Endes führen Sie in diesem Moment mit Ihrem CEO ein Verkaufsgespräch.
Deshalb rate ich Ihnen dazu, sich mit Priming und Framing auseinanderzusetzen, vielleicht mit dem Buch „Think Outside The Frame“ von Mario Pricken. Denn auch wenn die Fakten deutlich auf dem Tisch liegen, kommt es auf die Wortwahl an, mit der Sie Ihre Idee verkaufen. Framing ist dafür verantwortlich, dass die gleiche Information bei Menschen ein unterschiedliches Verhalten erzeugt. Worauf würden Sie eher reagieren: „Nur 20% Verlust-Risiko – spielen Sie Lotto“. Oder: „Spielen Sie Lotto – 8 von 10 Losen gewinnen“. Ich bin mir sicher, dass Sie sich für die zweite Variante entscheiden, obwohl beide inhaltlich exakt die gleiche Aussage treffen. Framing geht aber noch weitaus tiefer, was den Rahmen an dieser Stelle sprengen würde. Aber es lohnt sich, die Techniken zu kennen und einzusetzen.
Ich für meinen Teil bin mit dieser Strategie inzwischen mehrfach erfolgreich gewesen. Nicht nur, dass Interim Fachkräfte für das Marketing bewilligt und Ausbildungsplätze geschaffen wurden – es wurden auch umfassende Weiterbildungen gefördert. Bei externen Dienstleistern, wie Freelancer:innen und Agenturen, musste ich freilich immer mein Marketingbudget strapazieren, aber das geht auch in Ordnung. Wichtiger ist, dass ich Marketingprojekte nicht weiter aufschieben musste, die wiederum nach und nach zum Erfolg des Unternehmens beitrugen. Denn eines ist klar: Wer zusätzliche Ressourcen beansprucht muss auch liefern.
Takeaway (TL;DR)
- Ressourcenmangel bzw. Fachkräftemangel äußert sich im Marketing vor allem online bzw. digital.
- Priorisieren, umshiften und andere kurzfristige Maßnahmen verschlimmern die Situation mittelfristig.
- Ausbilden und weiterbilden sind wesentliche Bausteine, um langfristig besser agieren zu können.
- Outsourcing an Agenturen und Freelancer:innen deckt Leistungsspitzen.
- Gute Freelancer:innen sind schwer zu bekommen und meist nicht preiswert zu haben.
- Manager:innen auf Zeit bzw. Interim Marketing Manager können eine Lösung sein.
- Das Hauptproblem bleibt das Marketingbudget, hier braucht es gute Argumente für die Geschäftsführung.
- Argumentationshilfen sind detaillierte Projekt-Ressourcen-Pläne und das Multi-Layer-Modell.
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