Marketing ist mehr als nur eine Abteilung im Unternehmen: Es ist eine Tätigkeit, die alle Mitarbeiter:innen im Unternehmen jeden Tag ausführen. Bewusst oder unbewusst sind wir tagtäglich die Botschafter unserer Firma, unserer Produkte und Leistungen. Oder wie es einst Paul Watzlawick so trefflich auf den Punkt gebracht hat: „Man kann nicht nicht kommunizieren“. Wer in den Dialog mit Kund:innen, Partner:innen, Kolleg:innen, Lieferant:innen oder anderen Stakeholder:innen tritt, betreibt automatisch Marketing – im Guten wie im Schlechten. Warum Sie Marketing-Thinking im gesamten Unternehmen bzw. in den Köpfen aller Kolleg:innen verankern sollten und was Ihnen das bringt, darum geht es im Folgenden.
Marketing-Thinking: Raus aus dem Abteilungsdenken
Meine erste erlernte Marketingdefinition von Hans Raffée ist immer noch meine liebste: Im Kopf des Kunden denken , im Herzen des Kunden fühlen. Wenn das die Definition für Marketing ist, dann ist Marketing die Aufgabe von allen. Natürlich muss es eine Person geben, die den Marketinghut im Unternehmen auf hat – vielleicht sogar eine ganze Abteilung. Aber dennoch ist es Aufgabe aller, die frohe Botschaft über tolle Produkte und Leistungen in die Welt zu tragen.
Im Kopf des Kunden denken, im Herzen des Kunden fühlen.
Hans Rafée (1929 – 2021), Wirtschaftswissenschaftler
Das gilt angesichts von sozialen Medien umso mehr, denn das gesamte Internet bzw. das von Neal Stephenson ersonnene und von Mark Zuckerberg postulierte Metaversum bieten unzählige Möglichkeiten zur Interaktion. Ein riesengroßer Marktplatz voller Angebote, Meinungen und Möglichkeiten – ganz im Sinne des Cluetrain Manifests: Märkte sind Gespräche. Und wo gesprochen wird, werden Meinungen ausgetauscht. Wo und an welcher Stelle ein:e Kund:in mit Ihrer Marke und Ihrem Unternehmen erst- und letztmals vor einem Kauf in Berührung kommt, können Sie kaum vorhersagen. Umso wichtiger wird es, so viele Touchpoints wie möglich entlang der Customer Journey zu besetzen. Und Ihre Mitarbeiter:innen sind aus Marketingsicht eine Vielzahl möglicher Touchpoints. Übrigens zählen zu dieser Gruppe auch Bewerber:innen und Ehemalige.
Customer Journey konsequent denken
Wenn ich Unternehmer:innen und Marketeers frage, welche Strategien sie verfolgen, dann höre ich überproportional oft Customer Journey und Customer Centricity. Oftmals stecken beeindruckende Budgets hinter besagten Marketingstrategien. Aber in nicht einem einzigen Fall haben die Marketingverantwortlichen die Mitarbeiter:innen als Multiplikator auf strategische Art und Weise mitgenommen. Dabei bietet gerade der Customer Journey Ansatz mit definierten Touchpoints hierfür eine exzellente Blaupause.
Angesichts einer immer größeren Anzahl möglicher Touchpoints zwischen Unternehmen und Kunden ist eine gut ausgearbeitete Customer Journey mit dazugehörigem Customer Journey Content Mapping ein entscheidender Erfolgsfaktor. Übersehen wird meiner Ansicht dabei allzuoft die eigene Belegschaft als Multiplikator. In den meisten Unternehmen herrscht hier eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Auf der einen Seite jene, die Social Media affine Fraktion mit zahlreichen Influencer-Anspruch und auf der anderen Seite jene, die ihren Job ohne viel Aufhebens machen und darüber hinaus selten bis nie als Kommunikatoren für das Unternehmen aktiv werden. Oder vielleicht doch?
Marketing-Thinking im Alltag
Für mich war jahrelang klar, dass das Marketing auch das Marketing betreibt. Bis ich dann in einem mittelständischen Unternehmen als Marketingleiter angeheuert habe, das seit 50 Jahren ohne Marketing sehr erfolgreich war. Spoiler: Mit Marketing wurde das Unternehmen noch erfolgreicher, aber das steht auf einer anderen Karte. In diesem Unternehmen ist mir aufgefallen, dass die Kommunikation mit den Kund:innen auf viele verschiedene Schultern verteilt war. Ob es nun der IT-Support war, der ein spezifisches Problem löste, die Einkäufer:innen, die bestimmte Produktanforderungen abklärten, oder eine Person aus dem Lager, die eine eilige Lieferung direkt zum Kunden brachte. Viele Touchpoints, viele Personen – die meisten davon nicht in meiner disziplinarischen und fachlichen Führungslinie. Und alle mit einem direkten Bezug zur Customer Journey, zu den Touchpoints. Zu diesem Zeitpunkt hat auch noch kaum jemand über Content Marketing, Customer Journey und Touchpoints gesprochen – das nur am Rande.
Mein Learning daraus: Jede:r kommuniziert mit Kund:innen, Partner:innen und Lieferant:innen. Also machen alle auf irgendeine Art und Weise Marketing, auch die Buchhaltung, wenn sie Zahlungserinnerungen oder Rechnungen schreibt. Wie können wir diese Personen im eigenen Unternehmen für das Marketing sensibilisieren? Diese Frage schwirrte fortan in meinem Kopf.
Begeisterung für Marketing-Thinking wecken
Auch ein Lösungsansatz war schnell gefunden: Begeisterung wecken. Gar nicht so einfach, wenn man in einem Unternehmen angefangen hat, dass 50 Jahre ohne Marketing ausgekommen ist und sehr vertriebslastig strukturiert daher kommt. Am Anfang versuchte ich es mit Gesprächen auf Abteilungsleitungsebene. Kein großer Erfolg, es änderte sich nichts. Die Information kam gar nicht erst bis zu den Personen, die ich eigentlich erreichen wollte und wenn, dann nur als Bodensatz dessen, was ich vermitteln wollte.
Wenn Du ein Schiff bauen willst […], lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.
Die Stadt in der Wüste, Antoine de Saint-Exupéry
Im nächsten Schritt suchte ich in der Kaffeeküche, in Mittagspausen und auf den Gängen immer wieder das Gespräch mit Mitarbeiter:innen anderer Bereiche. Das funktionierte schon besser, aber die Zeit war stets zu kurz, um meine Vision von einem ganzheitlichen Marketing über verschiedene Touchpoints zu erklären. Und dann kam die Weihnachtsfeier und die Frage, wie wir den Tagesablauf des letzten Arbeitstages vor den Firmenferien nutzen könnten. Meine Idee: Eine rein interne Fachmesse, bei der die einzelnen Abteilungen, aber auch die Geschäftsführung, ihre wichtigsten Meilensteine des abgelaufenen Jahres, aber auch Ausblicke in die Zukunft pitchen konnten. Alle Mitarbeiter:innen waren eingeladen und wir schafften eine Forums-Atmosphäre mit Bierbänken, die wir – wie beim Public Viewing – auf eine Großleinwand ausrichteten. Es gab ein kleines kaltes Buffet und kalte Getränke und dann 15 bis 20 Minuten Vorträge pro Abteilung.
Große Bühne für Marketing-Thinking
Klar, dass ich mich mit meinem Marketing-Thinking Thema direkt mit auf die Liste gesetzt habe. Es war am Anfang auch gar nicht so leicht, Mitarbeiter:innen die Angst vor der Bühne zu nehmen. Das habe ich dann in einer separaten Coaching-Session im Vorfeld herausgearbeitet und auch das war ein voller Erfolg! Ein noch größerer Erfolg war letztlich nur mein Vortrag. Ich habe in 20 Minuten meine Vision anhand zum Teil konkreter Fotos aus dem Unternehmensalltag vorgestellt und was ich mir wünsche, wie wir agieren. Und ich habe angeboten, dass ich in den Abteilungen gerne noch einmal vertiefend darauf eingehen könnte.
Der Vortrag war primär unterhaltsam und kurzweilig konzipiert, ohne große Tiefe, dafür aber mit großer Aufmerksamkeit. Es gab Beifall und im Laufe des Tages und der Feier viele Einzelgespräche, die sehr positiv waren. Und in der Folge gab es dann auch Einzel-Workshops mit den Abteilungen, die dann vertiefend zeigten, wie Marketing und Abteilung XYZ zusammenarbeiten können, um mehr Umsatz und mehr Zufriedenheit zu erzeugen.
Einführung von Marketing-Thinking
Für mich ist Marketing-Thinking mehr als die reine Customer Journey. Es ist die Ausrichtung aller Prozesse auf die Bedürfnisse der verschiedenen Stakeholder. Mir geht es nicht primär um Kund:innen, sondern um die Vielzahl an Stakeholdern, vom Schraubenlieferanten bis zur Presse-Vertreterin.
Heute verstehe ich, dass der Erfolg meines Handelns viel mit Glück und Intuition zu tun hatte. Das muss aber gar nicht so sein, denn letztlich beruht die erfolgreiche Einführung von Marketing-Thinking auf vier aufeinander aufbauenden Blöcken:
1. Neugier wecken
Warum nicht auch ein Event kreieren? Übrigens wurde aus dem Weihnachts-Event noch ein zusätzliches Sommerfest-Event, bei dem auch morgens wieder Vortragsprogramm mit Wissenstransfer im Mittelpunkt steht. In jedem Fall sollten Sie einen unterhaltsamen Vortrag platzieren, der Neugier weckt. Mein Tipp daher: Finger weg von Fachsprache, das muss auch für alle verständlich bleiben, die noch nie mit Marketing zu tun hatten. Oder wie ich es immer sage: Erzähl es meiner Oma.
2. Interne Workshops
Der zweite, wichtige Schritt: Bieten Sie weitere Informationen an. Nicht alles auf einmal raushauen und alle überfordern! Auf diese Weise können Sie auch auf die speziellen Bedürfnisse einzelner Abteilungen und Bereiche besser eingehen – der Vertrieb weiß oftmals mehr über Marketing als die Buchhaltung. Diese Hilfestellung sollten Sie bereits im ersten Schritt ankündigen oder bereits im Vorfeld mit den verantwortlichen Personen terminieren.
3. Coaching
Egal, was Sie in Schritt 1 und 2 erzählt haben: Es werden fragen offen bleiben. Sorgen Sie daher dafür, dass ein Coaching-Angebot besteht. Das kann in einer Art Sprechstunde gebündelt werden, oder aber individuell gesteuert werden, je nach freien Termin-Slots bei Ihnen. Ich persönlich habe mit Sprechstunden zu verschiedenen Themen sehr gute Erfahrungen gesammelt. Am erfolgreichsten war hier sicher die Social Media Sprechstunde alle zwei Wochen.
4. Wiederholen
Neue Mitarbeiter:innen kommen hinzu, andere scheiden aus. Daher ist es so, wie früher in der Schule im Englischunterricht: Look, Listen and Repeat. Nur durch das Etablieren eines kontinuierlichen Prozesses bleibt das Schwungrad des Marketing-Thinking in Bewegung. Das Thema muss immer wieder nach oben geholt und konkretisiert werden. Warum nicht beim nächsten Event zeigen, welche Erfolge andere Abteilungen aus Ihrer Sicht mit Marketing-Thinking erzielt haben? Oder Stolpersteine aus dem Marketing-Coaching mit den einzelnen Bereichen zeigen und thematisieren.
Marketing-Thinking vs. Customer Journey
Eine Customer Journey ist für mich letztlich nur ein Bestandteil des Marketing Thinking, denn sie fokussiert sich einzig und alleine auf Kund:innen. Dadurch werden meiner Ansicht nach Multiplikatoren und andere wichtige Stakeholder ausgeblendet, die im Marketing-Thinking aber durchaus inkludiert werden können und sollen. Ein:e Techniker:in im Gespräch mit der Presse ist einer dieser Fälle. Klar, im Idealfall ist da das Marketing mit an Bord. Aber wir werden nie die Kontrolle über alle Unternehmensprozesse haben, in denen nach außen hin kommuniziert wird. Also sollten wir als Marketingverantwortliche meiner Meinung nach alles daran setzen, das Marketing-Thinking über die Grenzen der eigenen Abteilung hinaus ins Unternehmen zu tragen.
Takeaway (TL;DR)
- Marketing-Thinking umfasst alle Stakeholder:innen eines Unternehmens, nicht nur Kund:innen.
- Dadurch grenzt sich Marketing Thinking von der Customer Journey ab.
- Letztlich ist Marketing-Thinking das Weiterdenken von Touchpoint-Management.
- Konkret geht es um die Bedürfnisse der Zielgruppen und was Kommunikation dahingehend leisten kann.
- Mit einem 4-Stufen-Modell lässt sich Marketing-Thinking in Unternehmen einführen.
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